Physiknobelpreis 1978: Pjotr Leonidowitsch Kapiza — Arno Allen Penzias — Robert Woodrow Wilson

Physiknobelpreis 1978: Pjotr Leonidowitsch Kapiza — Arno Allen Penzias — Robert Woodrow Wilson
Physiknobelpreis 1978: Pjotr Leonidowitsch Kapiza — Arno Allen Penzias — Robert Woodrow Wilson
 
Die erste Hälfte des Preises erhielt der russische Physiker Kapiza für seine grundlegenden Arbeiten auf dem Gebiet der Tieftemperaturphysik. Die zweite Hälfte des Preises ging an Penzias und Wilson für die Entdeckung der kosmischen Mikrowellen-Hintergrundstrahlung.
 
 Biografien
 
Pjotr Leonidowitsch Kapiza, * Kronstadt 8. 7. 1894, ✝ Moskau 8. 4. 1984; 1921-34 Forschungstätigkeit am Cavendish Laboratory in Cambridge, seit 1935 Leiter des Instituts für physikalische Probleme in Moskau, Arbeiten zur Tieftemperaturphysik und zur Physik starker Magnetfelder, entdeckte die Suprafluidität von Helium.
 
Arno Allen Penzias, * München 26. 4. 1933; 1939 Emigration, seit 1961 bei den Bell Laboratories in New Jersey, seit 1981 Vizepräsident der Forschungsabteilung der Bell Laboratories; Arbeiten zur Radioastronomie und zur Atmosphärenphysik, entdeckte 1964 zusammen mit Robert Woodrow Wilson die Drei-Kelvin-Strahlung.
 
Robert Woodrow Wilson, * Houston (Texas) 10. 1. 1936; seit 1963 bei den Bell-Laboratories in New Jersey, seit 1976 Leiter der Abteilung für Radiophysik bei den Bell-Laboratories; entdeckte 1964 zusammen mit Arno Allan Penzias die Drei-Kelvin-Strahlung.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Als Pjotr Kapiza 1978 im Alter von 84 Jahren den Nobelpreis für Physik bekam, lagen seine Erfindungen und Entdeckungen, für die er den Preis erhielt, schon über 40 Jahre zurück, und Kapiza galt längst als Doyen der sowjetischen Physik.
 
Kapiza studierte während des Ersten Weltkriegs am Petrograder Polytechnischen Institut Physik, wo Abraham Joffe, der »Vater der sowjetischen Physik«, sein wichtigster Lehrer und Förderer wurde. Um den katastrophalen nachrevolutionären Lebensbedingungen zu entfliehen, ging er 1921 zu dem berühmten Experimentalphysiker Ernest Rutherford nach Cambridge. Immer zugleich Physiker und Ingenieur baute er mit Vorliebe Geräte zur Untersuchung extremer physikalischer Zustände. So konstruierte er einen Pulsgenerator, mit dem es ihm gelang, Magnetfelder zu erzeugen, die 600 000-mal stärker waren als das Erdmagnetfeld. Dabei fand er das nach ihm benannte Gesetz des linearen Anwachsens des elektrischen Widerstands in starken Magnetfeldern.
 
 
Sein großes Interesse an der Tieftemperaturphysik entsprang aus dem Wunsch, die thermische Bewegung von Atomen durch Kühlung so weit zu reduzieren, dass sich spezielle Quanteneffekte untersuchen ließen. 1930 wurde ihm hierfür in Cambridge ein eigenes Forschungslabor eingerichtet, an dem er sich unter anderem mit der Verflüssigung von Wasserstoff und Helium beschäftigte.
 
Nach einem Heimatbesuch 1934 verweigerten ihm die sowjetischen Behörden die Ausreise. Der Staat kaufte sein Cambridger Labor zurück und betraute Kapiza mit der Leitung eines eigenen Instituts für physikalische Probleme in Moskau.
 
Im Dezember 1937 gelang ihm dort die Entdeckung der Suprafluidität von Helium II, das heißt von flüssigem Helium unter 2,18 Kelvin (-270,98°C). Diese Flüssigkeit zeichnet sich durch eine sehr hohe Wärmeleitfähigkeit aus und ist in der Lage, auch bei geringsten Druckunterschieden durch extrem kleine Öffnungen zu fließen. Kapiza vermutete, dass Helium II aus einem normalen und einem suprafluiden Bestandteil zusammengesetzt sei, und bewies, dass ein Temperaturgradient eine Strömung der Flüssigkeit ohne gleichzeitigen Massentransport verursachte. Die Entdeckung der Suprafluidität schuf ein neues Gebiet der theoretischen Physik, die Quantenphysik der kondensierten Materie.
 
Nach Kriegsende war Pjotr Kapiza als Berater am sowjetischen Atombombenprojekt beteiligt. Schon bald beschwerte er sich jedoch bei Stalin über den verantwortlichen Leiter des Projekts, den berüchtigten Geheimdienstchef Berija, und bat um seine Freistellung vom Atomprojekt. Er wurde daraufhin von allen Verpflichtungen entbunden und stand bis zu Stalins Tod 1953 auf seiner Datscha unter Hausarrest.
 
Immer wieder setzte sich Kapiza auch mutig für verfolgte Kollegen ein, zum Beispiel die Physiker Lew Landau und Andrej Sacharow. Als Mitglied des Präsidiums der Akademie der Wissenschaften und Herausgeber der wichtigsten physikalischen Zeitschrift des Landes hatte er bis zu seinem Tod maßgeblichen Anteil an der Wissenschaftsorganisation in der UdSSR.
 
 Dem Urknall auf der Spur
 
Mit dem akademischen Wissenschaftsbetrieb hatten der Deutsch-Amerikaner Arno Allen Penzias und sein amerikanischer Kollege Robert Woodrow Wilson vergleichsweise wenig zu tun. Ihre preisgekrönten Arbeiten entstanden in den Bell-Laboratories, der Forschungsabteilung der Bell Telephone Company in Holmdel, New Jersey. Penzias, der Deutschland wegen der Verfolgung jüdischer Bürger im Alter von sechs Jahren verlassen musste, hatte 1961 hier zu arbeiten begonnen. Zwei Jahre später erhielt er den Auftrag, zusammen mit Robert Wilson die Herkunft von Radiorauschen zu untersuchen, das die Kommunikation mit Satelliten störte.
 
Mithilfe einer 20-Fuß-Hornreflektorantenne suchten sie nach schwachen Radioquellen außerhalb der Milchstraße. Ihr Messgerät, das sich durch ein extrem schwaches Eigenrauschen auszeichnete, war wie ein riesiges Hörrohr konstruiert, um möglichst viel Störstrahlung, insbesondere die Wärmestrahlung des Erdbodens, abzuschirmen. Damit maßen sie 1964 eine Mikrowellenstrahlung aus dem Weltall, die einer Temperatur von etwa 3,5 Kelvin (-270°C) entsprach und richtungsunabhängig war.
 
Jeder Körper mit einer Temperatur oberhalb des absoluten Nullpunkts (-273,16°C) sendet aufgrund der Wärmebewegungen der Elektronen ein Radiorauschen aus. Je geringer die Temperatur ist, desto schwächer ist das Rauschen. Die Temperaturen, die man in der Radioastronomie einer Quelle zuschreibt sind ein Maß dafür, wie stark der Körper bei der gerade benutzten Wellenlänge oder Frequenz strahlt.
 
Als die theoretischen Physiker Robert Dicke und James Peebles von der Princeton University von der Entdeckung erfuhren, war ihnen sofort klar, dass es sich hierbei um die Reststrahlung des Urknalls handeln musste, nach der sie schon seit einiger Zeit fieberhaft gesucht hatten. Die Strahlung stammte aus einer Zeit, als das Universum rund 1000-mal kleiner und heißer war als heute. Durch die Expansion des Weltalls hatte sie sich im Laufe der Zeit auf die heutigen etwa 3 Kelvin abgekühlt.
 
Die Entdeckung der Drei-Kelvin-Strahlung war der bedeutendste Fortschritt in der Kosmologie seit der Entdeckung des Rotverschiebungsgesetzes durch Edwin Hubble. Zusammen mit dem Hubble'schen Gesetz und der Konstanz der relativen Heliumhäufigkeit im Universum ist sie eines der stärksten Argumente für die Richtigkeit der Urknall-Theorie.
 
Penzias und Wilson blieben auch als Nobelpreisträger bei den Bell Laboratories. Wilson ist dort seit 1976 Leiter der Abteilung für Radiophysik, Penzias stieg 1981 zum Vizepräsidenten der gesamten Forschungsabteilung auf.
 
M. Schaaf

Universal-Lexikon. 2012.

Игры ⚽ Нужен реферат?

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”